Das interdisziplinäre Künstlerkollektiv Discoteca Flaming Star, bestehend aus Cristina Gomez Barrio und Wolfgang Mayer, beschäftigt sich gemeinsam mit anderen Kolleg_innen seit 1998 mit der Entstehung und Inszenierung kollektiver mentaler Räume. Ihre Skulpturen, Performances, Zeichnungen, Filme und Songs drehen sich um Momente und Situationen, in denen die Besucher_innen zu potentiellen Konstrukteur_innen einer unvorhersehbaren und heterochronen Handlung werden (können). Wie entsteht so ein Raum der Potentialitäten, ein Raum, in dem Zeit und Realität vorübergehend verschwinden?
Die im April 2011 realisierte Kunst am Bau Installation „Banner Study for an AGORA“ von Discoteca Flaming Star am Gebäude der District Stiftung wirkt auf den ersten Blick wie eine leere, unbrauchbare Bühne. Sichtbar sind ein zackenförmig gespanntes, schwarzes Gerüstschutznetz rund um das Gebäudevordach, hin und wieder aufblitzende Muster aus zerbrochenen Spiegelpailletten und längliche, schwarze Schatten auf dem Boden der Rampe. Die halbtransparente Gaze, die scharfen Umrisse auf dem Boden als auch die kurzen Lichtreflexe widersprechen dem monumentalen Gestus vieler Kunst am Bau- Projekte. Doch sobald sich die Besucher_innen dieses Transitionsortes in Bewegung setzen, treten jenes beiläufig wirkende Banner und seine formale Präzision eigenartig ins Bewusstsein.
Das historische Vorbild für dieses Projekt lieferten die Agoren des antiken Griechenlands im 6 Jh. v. Chr.. Damals war eine Agora ein großer öffentlicher Platz, an dem sich die Bürger der Polis versammelten, um Handel zu treiben, juristische Verfahren zu bezeugen und Theateraufführungen, Wahlen oder religiösen Prozessionen beizuwohnen. Für die produktive Anwendung dieses kultischen Zentrums existiert ein interessantes Beispiel aus den 1970er Jahren, als die „Valparaíso School – Open City Group“, ein Kollektiv aus Architekt_innen, Student_innen, Künstler_innen und Wissenschaftler_innen, am Rande der chilenischen Stadt Valparaíso eine experimentelle und dekonstruktivistische Modellstadt namens „Open City“ realisierte. Hier entstand eine metaphorische Architektur, die die Verschränkung von Kunst, Alltag und Leben physisch erfahrbar machen sollte. 1972 entwarf der französische Poet Henri Tronquoy, vorübergehendes Mitglied der „Open City Group“ die „Agora and Vestal“, eine offene Wabe als Arbeits- und Rückzugsraum, von der aus sich ein langer, unebener Pfad in die Wüste erstreckt. Discoteca Flaming Star reflektieren die Agora als einen Parcours für leise und rauschende Gedankenflüsse und akzentuieren ihre dialogische Dimension. Sie definieren den Weg entlang der Kellerei als eine dynamische Kreuzung, die neben dem Wandern, Innehalten, Denken und Kommunizieren synästhetische Aktivitäten und Erfahrungen zulässt. Das um das Vordach der Stiftung gespannte schwarze Netz ist ein konzeptuelles Banner, ein „fabric for thought”*, das sich mit den Ideen und Gefühlen der Besucher_innen auflädt. Nach Sonnenuntergang tauchen die Leuchten „Banner Study for an AGORA“ in ein weiches, hautfarbenes Licht, das die funktionale Architektur der einstigen Industrieanlage in eine unbestimmte, subjektive Realität gleiten lässt.
Ulrike Gerhardt
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*Discoteca Flaming Star antwortet Fragen von Britta Scholze. In: Müller, Ulrike (Ed.): Work the room. Berlin 2006. S. 117.