Britta Scholze, Britta Scholze: Questions for DFS (2006)

WM:
Ich liebe den Moment der emotionalen Inszenierung und die dadurch entstehende Beziehung zu den Zuschauern. Ich mag es, gemeinsam mit den Zuschauern durch die Performance in einem erfundenen Raum der Erinnerung zu sein, welcher befremdlich und verwirrend, dabei aber nicht bedrohlich ist.

Ich schminke mich gerne, um ein Bild meiner selbst auf meinem Gesicht zu tragen. Ich singe sehr gerne, um die Bedeutung der Lieder zu spüren, die so sehr meine Identität prägten.
Ich genieße die Zelebrierung der Nicht-Perfektion, die von Fehlern und von Verletzbarkeit.

Mein Vater ist Klaus Kinski, meine Mutter Bonnie Tyler.

CGB:
Discoteca Flaming Star ist die Verwirklichung eines Traumes: der Traum, einen künstlerischen Begegnungsraum zu teilen, ohne einen physischen Raum haben zu müssen. Ohne die performative Zusammenarbeit in diesem Rahmen würde es mir sehr schwer fallen, meine individuelle künstlerische Tätigkeit weiterführen zu können und in die Öffentlichkeit zu bringen. Ich glaube nicht an das Bild des einsamen, einzeln wirkenden Künstlers. Man ist zusammen, man sieht die Dinge nicht nur durch die eigenen Augen.

Aus der Unmittelbarkeit der Performances beziehe ich viel Kraft, weil es dort Raum für den Umgang mit Fehlern und Zerbrechlichkeit gibt. Ich geniesse sehr den Prozess, den Rahmen für die Lieder zu entwerfen. Ich fühle, arbeite und sehe mich mehr und mehr wie eine Performerin, auch wenn ich andere Mittel und Werkzeuge der Kunst benütze.
Ich liebe es, mit Liedern zu arbeiten, weil es bedeutet, mit Text und mit Gedächtnis zu arbeiten und es zugleich eine Überlegung über die Stimme und die Betonung gibt.

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DFS
Die kleinste Einheit der Performance ist das Lied, seine Bedeutung, seine Erinnerung. Der erste Schritt im Arbeitsprozess ist meist, einem Lied gerecht zu werden und auch dem Raum, der Beziehung, zwischen dem Performer und dem Lied. Diese Beziehung wird Teil des künstlerischen Begehrens und des künstlerischen Werkzeuges.

Durch Eingriffe in die Intention oder den Körper des Liedes versuchen wir die Erinnerung des Liedes zu verrücken, ihr etwas hinzuzufügen. Das kann auf konzeptuelle oder musikalische Art und Weise geschehen; z. B. wird auf rein musikalische Weise aus Robbie Williams’ „Supreme“, welches ein eher optimistisches Pop-Stück ist, ein Torch-Song, der mehr an eine vom Leben gebrochene Frau mittleren Alters erinnnert. Bei „Aladlona“ spielen nicht-musikalische Momente eine wesentlich grössere Rolle. Das kulturelle Missverständnis, das uns mit arabischem Bauchtanz verbindet, interpretiert das Lied genauso stark wie z.B. das Spiel der Gitarre oder die inhaltliche oder kulturelle Bedeutung der darübergesungenen Liedtexte. Allgemein sind neben der Tatsache, dass wir all diese Lieder lieben und respektieren, Momente von Absurdität und Humor im „Verrücken“ immer sehr wichtig.

Alle Teilnehmer von Discoteca Flaming Star wirken mit bei der Entstehung des Raumes, der das Verhältnis zu den Liedern beschreibt. Alle daran Beteiligten verändern durch ihre spezifische Art zu denken, zu interpretieren, zu tanzen, zu singen, zu spielen etc. das Resultat.

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DFS
Die Banner sind zusammengeklebte Stoffbahnen, die nachträglich mit Text bemalt werden. Sie dienen als Hintergrundvorhang für viele der Performances, als räumliche Transformation innerhalb welcher Unordnungen in Worte gefasst werden können. Die Texte sind Referenzen, kryptische Gedanken, mit denen wir über Monate schwanger gehen. Gedanken über die künstlerische Tätigkeit, wie zum Beispiel „innocence & mystery“ sich auf Buñuels Filter für seine Filme bezieht. Sie stellen aber auch Konzepte dar, die das Verhältnis unserer Kunst zu den verschiedenen Ebenen der Alltagserfahrung von Künstlerinnen und Betrachterinnen reflektieren. Es sind Denkstoffe.

Gerade arbeiten wir an einem neuen Banner: „and doubts and exaggeration and amnesia“ .

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Sanja Ivekovic, Wiener Gruppe, Alvaro, Anita Berber, El Arroyo los Cagaos, Mahalchick, Mary Shelley, PFFR, Jack Smith, Patti Smith, Cheap Club, Kenneth Anger, Joey Arias, La Pachanga, Felix González-Torres, Karl Valentin und Lisl Karlstadt, …
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In zehn Jahren wird DFS ein Theater am Stadtrand von Marrakesch sein, in welchem
Spaghetti-Western als drei Tage dauernde griechische Dramen aufgeführt werden.

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DFS bei Public Affairs. Eine grosse Freiheit der Kunst liegt wahrscheinlich in ihrer Modellhaftigkeit. Diese Modellhaftigkeit, die wir vorschlagen, hat für uns politische Relevanz. Unser Entwurfsvorschlag steht vor allem für den Fehler, die Verletzlichkeit und den Verrat. Verrat der Sprache, der Gene, des Herkunftsortes und der gegebenen Notwendigkeiten.

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aktuelle politisch eingreifende Kunst. Oft haben wir Zweifel, ob Kunst wirklich politisch eingreift, aber unsere Zweifel werden immer dann kleiner, wenn wir auf Kunst treffen, bei der wir eben diese Eigenschaft vermuten. Die Arbeiten von Felix Gonzalez-Torres (Künstler, *1957, ✝ 1996) sind durchdrungen von Politik und Poesie. Seine Arbeiten wollen einfach da sein, sich nicht aufdrängen, sich nicht aufzwingen. Ines Schaber (Künstlerin, *1969) arbeitet rigoros an aesthetisch bildnerischen Essays, die Politik einschliessen, aber Poesie und Geister nicht ausschliessen und dabei versuchen, neue Bedeutungen zu kreieren. Alex Arteaga (Künstler, *1969) spricht immer davon, dass aesthetische Arbeit die einzig relevante Grundlage bildet, auf der wirkliche und radikale Nachhaltigkeit erzeugt werden kann. Es gibt viele Künstler und Kollektive, die ihre Tätigkeit sehr stark auf einer kommunalen Ebene verweben.

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Tatsumo Hijikata (Tänzer, *1928, ✝ 1986) spricht davon, dass der Performer sich mit dem Publikum über Provokation verbindet, dass aber der Performer sich gar nicht mit dem Publikum verbinden muss. Wir versuchen uns über Offenheit und Genuss mit dem Publikum in ein Verhältnis zu setzen. Fiktion scheint zunehmend provokativ.

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Darum ging es in Public Affairs…über drei Tage wurde nachgedacht, inwiefern Performance ein besonderer Ort für die Artikulation von gesellschaftlich relevanten Aussagen von Künstlern sein kann. Über diese drei Tage kamen verschiedene Begegnungen zustande und das ist vielleicht die Kraft der Performance im genannten Sinne: sich zu treffen, um über eine begrenzte Zeit ein Kunstwerk zu ermöglichen und zusammen die Wünsche der Entstehung zu choreographieren, um im Prozess etwas durch die Augen von anderen sehen zu können. Poesie, Emotionen, Brücke zur Fiktion, zum Humor,… aber Performance ist natürlich kein exklusiver Ort des sozialen Protests.

Auf einem Bahnsteig mit aller Zartheit den ganzen Tag gegen den Lärm der ein- und ausfahrenden U-Bahnen anzusingen, obwohl niemand kam, um dich zu hören, kann ein herausragender Protest sein – dafür dass jemand so und nicht anders ist und auch nicht sein soll, ausgeführt mit den Mitteln der Performance. Das ist sehr subversiv.

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Wir wünschen uns die Leute an einen Ort gebracht zu haben, an dem sie so noch nicht waren (haben wir bis jetzt vielleicht einmal geschafft). Wir wünschen uns, die Erinnerung der Leute zu bewegen, sie zu verwirren, ihnen Geister und LiebhaberInnen zu geben.

DFS soll ein mentaler Ort sein, den alle möglichen Künstler betreten können, um zu experimentieren und zu geniessen. Wir fragen und werden gefragt zusammenzuarbeiten, soundtracks zu machen, mit glamouröser Intelligenz zu kämpfen und durch Zorn und Melancholie hindurchzugehen.

Wir arbeiten mit Monstern und möchten Wunder vollbringen. DFS ist ein Ort, die Welt herauszufordern mit Unschuld und Geheimnissen als Waffen. Wir spielen, um die Amnesie zu heilen, in gelernten Liedern badend, mit der Hoffnung, Rosen zu pflanzen, um dein Paradies zu betreten…

An, in und mit diesem Ort DFS hielten sich bis jetzt auf:
Guiomar Arjona López (München), Edith Mirwald (München), Philipp Imdahl (Köln), David Galbraith (New York), Asana (Berlin), Bene Abel (Berlin), Marita Barnett (Berlin), Ines Gerdes (Berlin), Cristina Gómez Barrio (Berlin), Wolfgang Mayer (Berlin), Imadi (Berlin), Birgit Kramer (Berlin), El Arroyo los Cagaos (Cáceres), Marianne Kirch (München),Tom Früchtl (München), Stephan Schessl (München), Ignaz Schick (Berlin), Rita McBride (New York), Michael Mahalchick (New York), Jim Galbraith (New York), Michael Schultze (Berlin), Dorothy Vallens (Berlin), Circo Interior Bruto (Madrid), Bernd Sevens (Berlin), Helge Slaatto (Kopenhagen), Frank Reinecke (München), Ursula Rogg (Berlin), Kerstin Rautenberg (Berlin), Laurie Young (Berlin), François Boué (New York), Susan Oetgen (New York), Xenia Riemann (Düsseldorf), Elyce Semenec (New York)